Bob Mould im Interview

Beitragsbild: Blake Little Photography

Gerade mal ein Jahr nach seinem letzten Album »Sunshine Rock« legt Bob Mould jetzt ein neues Album nach, denn er hat Einiges zu sagen. Auf »Blue Hearts« hält sich der frühere Sänger von Hüsker Dü und Sugar nicht länger zurück und macht lautstark und sehr direkt seinen Unmut zu den aktuellen Zuständen in seinem Heimatland USA deutlich. So wütend wie auf seinem 14. Soloalbum klang der 59-Jährige lange nicht mehr. Wir sprachen Ende September mit Bob Mould via Skype über sein neues Album »Blue Hearts«.

 

Bob, wie hältst du dich mit der aktuellen Corona Krise?
Ich bin okay. Es sind jetzt ungefähr sechs Monate, dass wir uns in Amerika im Lockdown befinden. San Francisco geht damit ziemlich gut um. Wir haben hier sehr früh Masken getragen und die ganzen schwierigen Dinge gemacht wie die Schließung von Geschäften, Schulen und dergleichen. Die Stadt hat sich also wirklich gut geschlagen. Die Krankenhäuser funktionieren, wir hatten nie ein Problem mit unseren Krankenhäusern. Wir hatten hier nicht viele Fälle. Aber es ist hart, weil sich die Menschen nicht für Kunst, Musik oder Sport versammeln können. Zum Glück sind die Menschen zusammengekommen, um zu protestieren, als es nötig war.

Dein neues Album »Blue Hearts« erscheint am Freitag. Und es hat die lautesten und wütendsten Songs, die du seit deiner Zeit mit Hüsker Dü geschrieben hast. Sind die Texte zu »Blue Hearts« alle aus der Wut über das Chaos, das Trump ausgelöst hat, entstanden?
Ja. Größtenteils war das der Fall. Den ersten Song, den die Leute vom Album gehört haben, »American Crisis«, habe ich schon im April 2018 geschrieben, als ich in Berlin gelebt habe. Dieser Song sollte ursprünglich auf dem »Sunshine Rock« Album sein. Aber ich hatte das Gefühl, dass er vielleicht nicht zum Rest des Albums passt, also habe ich ihn erst einmal aufbewahrt. Dann vor ungefähr einem Jahr hatte ich das Gefühl von einem Déjà-Vu, dass mich diese aktuelle Trump-Ära an die schlechten Teile der Reagan-Ära in Amerika erinnerte. Genau genommen daran, ein junger schwuler Mann zu sein und wie schwierig es für unsere Community in den Achtzigern war. Diese Art von Wut, als ich anfing zurückzublicken, provozierte diese Ideen und neue Ideen natürlich, als ich Ende 2019 nach San Francisco zurückkam. Ich bin wegen der Feiertage zurückgekommen und um eine Tour zu machen. Und ich wusste, dass ich eine neue Platte machen möchte. Aber ich glaube, die ganzen Ideen, die Worte und die Geschichten, entstanden als ich wieder im Land der 24-Stunden-Nachrichtenunterhaltung war. Da ich weg gewesen bin, hatte ich nicht bemerkt, wie polarisiert Amerika geworden war. Als ich zurückkam, war ich entsetzt darüber, wie schlimm die Dinge geworden waren. Ich musste nicht viel über diese Worte nachdenken. Sie kamen mir einfach in den Kopf.

Du sprichst davon, Parallelen zwischen den Reagan-Jahren und den Trump-Jahren zu sehen. Kannst du mir ein bisschen mehr darüber erzählen?
1980 wählte Amerika einen Fernsehstar zum Präsidenten. Und dieser Präsident fand viel Unterstützung bei den evangelikalen Christen, die sich zu dieser Zeit selbst »die moralische Mehrheit« nannten, sobald sie die Präsidentschaft gewonnen hatten. Sie fingen an, alle Regeln für das Land zu machen. Der Sommer 1981 war der Beginn von HIV/AIDS. Als junger schwuler Mann wusste ich nicht, was meine sexuelle Identität war, und jahrelang wurde mir gesagt, dass dies Gottes Strafe für mich oder meine Community sei. Und einfach die Feindseligkeit und die Wut, die diese Leute für die Gay Community erzeugten. Und dann einen Präsidenten zu haben, der fünf Jahre wartete, das Wort AIDS auszusprechen. Das war eine Menge mit dem man leben musste, verstehst du. Zu dieser Zeit machte ich einfach meine Arbeit, ich tat, was ich konnte, um zu helfen. Aber ich war nicht als schwuler Mann unterwegs, ich spielte nur Musik in einer Band. Dieses Jahrzehnt hatte viele düstere Zeiten für mich.

Und jetzt bewegen wir ins Jahr 2016 und wieder wählt Amerika einen Fernsehstar, der noch mehr Unterstützung von denselben Evangelikalen hat, die sich um Reagan versammelt haben. Sie stehen ziemlich im Mittelpunkt von Trump und der republikanischen Partei. Und genau dieses Gefühl der Angst, dass nach all den Jahrzehnten des Fortschritts und des Versuchs, die Menschen dazu zu bringen, bestimmte Dinge über Gleichheit und Gesundheit zu verstehen, dass das alles verschwinden würde. Ich war wirklich besorgt. Einige der Trump-Jahre war ich in Berlin, hatte ein anderes Leben und spürte es nicht so direkt wie jetzt oder als ich diese Songs Ende letzten Jahres schrieb. Aber als ich zurückkam und die Parallelen sah, war es wirklich beängstigend. Und jetzt sehen wir, dass es so schlimm ist, wie man es sich vorstellen kann.

Wenn du auf die Tage als Teil der Musikszene in Minneapolis zurückblickst, ich meine Hüsker Dü war eine Band aus den Twin Cities, wenn du also auf die Stadt zurückblickst, mit der du so verbunden bist und dann siehst, dass der Mord an George Floyd dort passiert ist. Wie hast du das wahrgenommen?
Es war sehr schlimm für mich. Der Mord an George Floyd war so ein klares Beispiel für exzessive Polizeigewalt. Es war nicht nötig, dass dies geschah, und das war nur einer von mehreren Fällen in Amerika im Jahr 2020.

Ich bin in einem kleinen Farmdorf in Upstate New York aufgewachsen und mit 17 nach Minneapolis bzw. in die Twin Cities gezogen. Ich erinnere mich, dass ich aufs College gegangen bin und es ein so fortschrittliches Umfeld war, dass es so liberal war. Und ich erinnere mich, dass es ein Umsiedlungsprogramm für die Hmong gab. Genau das waren meine ersten Eindrücke von Minnesota: sehr fortschrittlich, sehr einladend, hilfsbereit Menschen gegenüber, die auf der ganzen Welt vertrieben wurden und Opfer von Regierungen und Regimen waren, die ihr eigenes Volk töteten. So habe ich Minnesota kennengelernt. Neben dem Musikpart. Und als ich dann diese Nachrichten im Fernsehen gesehen habe, konnte ich es nicht glauben. Aber es stimmte, es war wirklich passiert. Und ich denke, Minnesota und die Twin Cities sind immer noch ein sehr, sehr fortschrittlicher Ort.

Und dann sah ich wie sie die Polizeiwache niederbrannten. Ich kenne diese Wache, ich habe Anfang der Achtziger zwei Blocks von dieser Wache entfernt gewohnt. Ich sah diese Bilder in den Nachrichten und Nachrichtenreporter, die durch verschiedene Viertel gingen, in denen ich gelebt hatte, in denen ich mein Studio hatte und Orte, wo ich Schallplatten gekauft habe und wo wir uns alle getroffen haben. Es brach mir einfach das Herz und es war so unnötig.

Wie wichtig ist es für dich, sich in Zeiten wie diesen als Musiker zu Wort zu melden?
Dies ist keine Theorie mehr, dies geschieht wirklich, es geschieht jeden Tag vor unseren Augen. Ich muss etwas sagen, ich muss etwas sagen zu den Leuten, die meine Musik hören. Weil ich als Musiker weiß, dass Menschen von Musik angezogen werden, weil sie irgendwie zu ihnen spricht. Und ich weiß, dass es vielleicht Leute in meinem Publikum gibt, die mit meiner Politik nicht einverstanden sind. Und ich dachte lange: »Oh, das ist okay. Vielleicht mache ich einfach meine Arbeit.« Diese Leute würden zu mir sagen: »Bob, halt die Klappe wegen der Politik. Wir wollen dich nur rocken hören.« Und ich sage: »Moment mal, du hörst meine Musik seit Jahrzehnten, verstehst du nicht, wo ich mit all dem stehe? Ich denke, ich werde dich noch einmal daran erinnern. Dies ist, wer ich bin und dies ist meine Geschichte und ich denke, es ist wichtig, dass du das verstehst.« Und mir wurde klar, dass mit der Idee, mich in so einer breiten Art und Weise zu Wort zu melden, ich möglicherweise einen Teil meines Publikums verliere. Aber ich weiß auch, dass wenn ich jetzt nicht den Mund aufmache, ich in Zukunft möglicherweise keine Chance mehr habe, den Mund aufzumachen. Und wenn ich diese Chance in Zukunft nicht habe, habe ich mein gesamtes Publikum verloren. Wir haben diese Idee, mit der wir jetzt arbeiten können, und deshalb habe ich keine Angst, Leute zu verlieren. Wenn ich mehr Leute erreiche ist das großartig, wenn ich Leute verliere, ist das auch in Ordnung. Ich muss den Mund aufmachen, weil dies die Zeit für uns alle ist, den Mund aufzumachen.

Glaubst du, dass sich in Zukunft was ändern wird?
Ich habe viel Hoffnung. Ich hoffe, dass die jungen Leute dieser Welt die Verantwortung übernehmen und dies reparieren. Ich hatte meine Zeit und alles was ich jetzt tun kann ist, meine Geschichte zu erzählen und tun, was ich kann. Aber ich habe viel Hoffnung für die jungen Leute. Ich denke, sie verstehen das alles: den Klimawandel, die Vertreibung und die totalitären Regime, die versuchen, Teile der Welt zu übernehmen. Ich denke, junge Leute sehen das und ich habe große Hoffnung, dass sie der Situation gewachsen sind und die Welt schaffen, in der sie leben wollen. Dies ist, was ich tun kann, um zu helfen, und ich weiß nicht, ob es helfen wird.

Lass uns mal zu einem Song auf dem Album springen, den ich sehr interessant finde. Sprechen wir über »Forecast Of Rain«.
Ich ging jeden Sonntag in die katholische Kirche. Meine Mutter wurde katholisch erzogen und wollte, dass ich mir der Religion bewusst werde. Und ich blieb bei der Religion, bis ich mit dreizehn Jahren zur Firmung ging. Dann habe ich mich von der Religion entfernt, aber ich habe ein grundlegendes Verständnis davon. Ich weiß, dass viele Menschen Probleme mit Religion haben. Ich denke, die reine Version von Religion im Sinne von Gemeinschaft und Menschen helfen, all diese Dinge sind wirklich gut. Die Grundideen, »behandle andere wie du von ihnen behandelt werden willst« und all das, alles gute Sachen. Aber wieder mit den evangelikalen Christen in Amerika, die es auf sich genommen haben, die Grundideen von Religion zu erweitern und Religion als Waffe gegen Menschen einzusetzen, mit denen sie nicht einverstanden sind. Während sie die gleichen Dinge tun, von denen sie bei uns behaupten es seien Sünden oder Verbrechen. Sie waren immer sehr schnell dabei mit Fingern auf Leute zu zeigen nicht verstehend, dass sie Leute haben, die die gleichen Dinge tun. Darum geht es in dem Song. Es ist eine sehr einfache Art der Frage: Gelten all diese Regeln, die du aufgestellt hast, auch für dich oder nur für diejenigen, die du niedrig halten willst?

Warum hast du »Blue Hearts« als Titel für die Platte gewählt?
Der ursprüngliche Arbeitstitel war »From The Heart To The Ocean«, aber ich dachte, es wäre ein zu langer Titel. Also habe ich mich für »Blue Hearts« entschieden, weil ich über das letzte Mal nachgedacht habe, als ich das Wort »Blue« in einem Albumtitel verwendet habe im Jahr 1992. Das war »Copper Blue« von Sugar. Und es war das Jahr als Bill Clinton und die Demokraten die Kontrolle über das Land übernahmen. Es hat mit dem Wort »Blue« also schon einmal funktioniert, vielleicht funktioniert es wieder. Das ist alles was ich tun kann. (lacht) In Amerika ist die demokratische Partei die blaue Partei.

Diese Verbindung habe ich gar nicht hergestellt. Ich drücke die Daumen, dass es mit dem Albumtitel wieder funktioniert und es mit den bevorstehenden Wahlen eine Veränderung in Amerika geben wird.
Hoffentlich. Der Wahlsieg ist nur ein kleiner Teil des Versuchs, die Zerstörung Amerikas und der Demokratie zu reparieren. Ich wünschte, mehr Menschen in Amerika würden verstehen, wie ernst die Situation ist.

Das wünschte ich auch.
Die vier Jahre, die ich in Berlin verbracht habe, waren einfach eine wunderbare Weiterbildung, täglich fast jede Woche öffentliche Proteste zu sehen. Jeder steht da und schaut zu und hört zu und dann gehst du wieder deinem Tagewerk nach. Und genau das ist Demokratie. Es ist die Fähigkeit sich zu versammeln und zu protestieren. Oder die Idee, mehrere politische Parteien zu haben, die lernen müssen, zusammenzuarbeiten, um einen Konsens zu erzielen, um eine Regierung zu bilden. All dies war eine wunderbare Weiterbildung, die man jeden Tag bekommen hat. Ich mache mir wirklich Sorgen um einige Leute in Amerika, die einfach nicht… Es gibt eine große Welt da draußen und alles, was sie sehen, sind Fox News. Das tut echt weh.

Wie kommst du damit zurecht, dass du gerade keine Shows mit der neuen Platte spielen kannst?
Es ist schwer. Ich liebe es, Live-Musik für Menschen zu spielen. Es schafft Gemeinschaft. Wir alle kommen zusammen und haben diesen Moment, den wir teilen und auf den wir uns freuen. Und das alles gibt es vorerst nicht mehr. Auf einer anderen Ebene verdiene ich meinen Lebensunterhalt damit, das schafft eine neue Herausforderung. Hoffentlich können wir bald wieder für Musik zusammenkommen. Ich denke, es wird noch mindestens ein weiteres Jahr dauern. Wenn wir Glück haben. Es ist schwer, weil dieses neue Album »Blue Hearts« so perfekt für die Bühne und für den Moment ist. Es ist schwer, dies nicht in einem Live-Konzert mit Menschen zu teilen. Und Musik ist so kraftvoll, ich glaube immer noch, dass sie die Welt verändern kann. Dass das allen Musikern genommen wurde, ist schwer. Wir können nicht so zusammen sein, wie wir es kennen. Und für uns in Amerika ist es ein Moment, in dem wir alle zusammen sein und darüber diskutieren müssten, wie wir das reparieren können. Es ist schwierig, das auf virtuelle Weise zu tun, aber ich denke, das ist alles, was wir gerade haben. Tun wir also einfach was wir können.

Nächsten Monat steht auch dein 60. Geburtstag an. Irgendwelche großen Pläne dafür? Ich meine, das ist eine Zahl!
Ich hatte große Pläne dafür. (lacht) Eigentlich sollte ich an meinem 60. Geburtstag in Minneapolis [im First Avenue] spielen. Das kann aber nicht stattfinden. Ich habe jetzt also keine großen Pläne. Ich werde wahrscheinlich nur eine Geburtstagstorte zu Hause haben, denke ich. Ich werde irgendwie das Beste daraus machen, ich werde mir etwas überlegen. Wenn du mich vor dreißig Jahren gefragt hättest, ob ich es bis zu meinem 60. Geburtstag schaffen würde, hätte ich gesagt: wahrscheinlich nicht. (lacht) Ich bin also froh, dass ich es geschafft habe. (lacht) Und danach sind es vielleicht noch mal dreißig. Wir werden sehen.

»Blue Hearts« ist am 25. September 2020 bei Merge Records erschienen.