Blood Red Shoes: »Von diesem Punkt an war alles eine Katastrophe«

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Beinahe würden Blood Red Shoes als Band heute nicht mehr existieren. Erschöpft und genervt voneinander, brauchten Laura-Mary Carter und Steven Ansell nach ihrem letzten Album eine Auszeit. Als sie wieder zusammengefunden hatten, passierte eine Katastrophe nach der anderen. Laura-Mary Carter erzählt über die Gründe für die Pause, darüber, was das Duo auf dem Weg zu seinem neuen Album »Get Tragic« alles durchgemacht hat und wie es schließlich doch noch zu einem Happy-End gekommen ist.

Es war Ende 2014, nachdem Blood Red Shoes die Tour zu ihrem vierten selbstbetitelten Album beendet hatten, als sie das Gefühl hatten, dass eine Auszeit notwendig sei. Fast zehn Jahre ohne Pausen stellten nicht nur die Band, sondern auch die Freundschaft auf eine harte Zerreißprobe. Blood Red Shoes waren ständig unterwegs, stoppten nur kurz um ein neues Album aufzunehmen, bevor sie wieder auf Tour gingen. Das bescherte ihnen zwar viele Stempel im Reisepass, aber wenig Ruhe. Hinzu kam, dass über viele Jahre hinweg Blood Red Shoes den beiden kein Leben und keine Identität außerhalb der Band ließ. »Als wir mit Blood Red Shoes anfingen, waren wir Teenager und wir haben bis heute immer nur die Band gemacht. Wir haben uns nie wirklich frei genommen oder etwas anderes außerhalb der Band gemacht.« erklärt Laura. »Ich glaube, das längste, was wir voneinander getrennt waren, war für eine Woche.« Verständlicherweise führte eine solche ununterbrochene Nähe dazu, dass die beiden irgendwann einfach keinen Bock mehr aufeinander hatten. »Wir waren an einen Punkt gekommen, an dem wir als Freunde nicht mehr miteinander klarkamen.« erklärt Laura. »Also mussten wir die Notbremse ziehen und brauchten unbedingt eine Pause, um uns klar zu werden, ob wir noch weitermachen wollen und wenn ja, wie.«

Laura brauchte Raum für sich. Der Wunsch wurde in ihr immer stärker, eine eigene Stimme zu haben und eine eigene Person zu sein. »Meine gesamten zwanziger Jahre habe ich mit Steven verbracht und das wurde ein bisschen seltsam. Es ist wie in einer Beziehung, wenn du immer mit einer anderen Person zusammen bist.« erklärt sie. »Ich wollte ich selbst sein und wollte mehr sein als diese Person in der Band. Ich wollte herausfinden, wer ich für mich alleine bin.« Zudem machte Laura eine Zeit durch, in der sie nicht wusste, ob sie das alles überhaupt noch will. „Wenn du älter wirst, stellst du plötzlich fest, dass alle deine Freunde andere Richtungen in ihrem Leben eingeschlagen haben, und du selbst machst immer noch dieses Musik-Ding, gehst auf Tour und bringst Alben heraus.« erklärt die 31-Jährige. »Ich habe plötzlich alles in Frage gestellt: Bin ich auf dem richtigen Weg? Soll ich weitermachen oder nicht? Ich denke, es war eine kleine Krise.«

Also packte sie ihre Koffer und kaufte ein Flugticket nach Los Angeles. Zwischen den beiden Bandkollegen herrschte monatelange Funkstille. Laura machte mit anderen Leuten Musik. Das gab ihr viel Zeit zum Nachdenken. Steven hingegen blieb in Brighton. Er ist in Clubs gegangen, hat Drogen genommen und Party gemacht. »Er hat getan, was jemand auch nach einer Beziehungstrennung tun würde. Den klassischen Ausbruch. Nicht zu wissen, was man nun mit sich anfangen soll und wer man ist.« so Laura, die auch weiterhin in Los Angeles lebt.

Zum Glück erwies sich der Abstand als großartiger Heiler und die beiden begannen langsam ihre Freundschaft wiederzubeleben. »Wir kamen zu dem Entschluss: Wenn das klappen soll, müssen wir alles ändern.« betont Laura. Sie fügt hinzu, dass sie sogar einen Moment lang darüber nachgedacht haben, den Namen der Band zu ändern, um neu zu sein: »Wenn man so lange in derselben Band ist, haben die Leute diese festgefahrene Vorstellung von dir. Wenn sie den Namen lesen, bringen sie diesen mit einem bestimmten Sound in Verbindung. Wir dachten, wenn wir also einen neuen Song unter einem neuen Namen veröffentlichen, wäre das für die Leute interessanter. Aber wir haben das dann doch nicht gemacht.« Also beschlossen Laura und Steven unter dem alten Namen Blood Red Shoes ein neues Album zu machen. »Und dann ist alles schief gelaufen. Von diesem Punkt an war alles eine Katastrophe.« sagt Laura.

Der erste Schritt nach ihrer Wiedervereinigung war ein Rückzug ins ländliche Wales, um Songs zu schreiben. Sie fanden eine Unterkunft in einem ehemaligen Gemeindehaus, das jetzt in Privatbesitz war und der Besitzer erlaubte ihnen es zu nutzen. »Es hörte sich perfekt an. Du bist mitten im Nirgendwo und kannst laute Musik machen. Also sind wir da hin gefahren. Wir kamen an, luden unser Equipment aus und gingen schlafen.« erzählt Laura. »Und plötzlich war es dort wirklich seltsam.« Am nächsten Morgen um 8 Uhr wurden sie unliebsam von den Dorfbewohnern geweckt, die das Haus betraten und heftig an die Schlafzimmertür klopften, während die beiden noch schliefen. Das Gemeindehaus war verkauft worden, aber niemand hatte es den Dorfbewohnern erzählt. »Die Leute kamen, um ihren Unterricht abzuhalten oder was auch immer sie dort vorhatten und unser Equipment war überall verteilt. Das halbe Dorf stellte sich die Frage, warum wir in diesem Haus seien. Sie sagten uns, dass wir hier nicht bleiben könnten. Es wäre nicht erlaubt Teufelsmusik in der Nähe der Kirche zu machen. Es war total verrückt. So wie in einem Film, wo man dich aus der Stadt jagt.« lacht Laura.

Also mussten sie alles zusammenpacken und den Ort verlassen. Sie gingen nach Leeds, wo ein Freund des Duos ein Studio hatte und versuchten, dort zu arbeiten. Doch bereits innerhalb einer Woche folgte die nächste Katastrophe: Laura brach sich den Arm. »Ich hatte einen Motorradunfall. Es war eigentlich gar nicht so schlimm. Ich bin vom Motorrad gefallen.« erzählt Laura. »Ich wusste nicht, dass mein Arm gebrochen war, denn es tat nicht wirklich weh. Doch am nächsten Tag konnte ich ihn nicht mehr bewegen.« Bemerkenswerterweise erwies sich Lauras gebrochener Arm jedoch irgendwie als Segen für das Duo. Da sie nicht in der Lage war, Gitarre zu spielen, veranlasste es sie dazu, sich ein Keyboard zu nehmen und mehr zu singen als zuvor. »Das hat den ganzen Sound und somit das Album komplett verändert.« erklärt sie.

Und nach all den Katastrophen erschien dann doch endlich das Licht am Ende des Tunnels. Sie gingen nach Los Angeles, um mit dem Produzenten Nick Launay aufzunehmen, der für seine Arbeiten mit u.a. Yeah Yeah Yeahs, Arcade Fire und Nick Cave And The Bad Seeds bekannt ist. Er war der erste, der ihnen sagte, dass das, was sie machten, gut sei. Er ermutigte sie dazu, diese neuen Klangwelten weiter zu erforschen und keine Angst davor zu haben. »Er hatte einen sehr positiven Einfluss auf alles, was vor sich ging. Das war so schön, dass endlich mal jemand gesagt hat, dass es sich wirklich lohnt. Es lohnt sich, durch diese Scheiße zugehen und weiterzumachen. Wir waren tatsächlich kurz davor, einfach aufzugeben, weil es so aussah, als sei alles gegen uns und als sei es vielleicht einfach nicht richtig. Aber er sagte zu uns: ›Nein, das ist gut. Ihr müsst weitermachen.‹« erzählt Laura. Und zum Glück haben sie diesen Rat befolgt, denn Blood Red Shoes klingen auf ihrem neuen Album frischer und selbstbewusster denn je.

Passenderweise gaben Blood Red Shoes dem Album den Titel »Get Tragic«. Für das Duo steht der Albumtitel für all die Dinge, die sie durchgemacht haben und über die sie jetzt lachen können. »Wir haben uns unser Verhalten angesehen und erkannt, dass wir uns in eine tragische Klischeeband verwandelt haben« erklärt Laura. »Wir mussten dieses Album machen. Es war der einzige Weg, um voranzukommen und irgendwie wieder zu lachen.«