Beitragsbild: Pooneh Ghana
Die Australierin Stella Donnelly hat mit »Beware Of The Dogs« gerade eines der besten Alben des Jahres veröffentlicht. Mit bissigen Texten verpackt in strahlende Folksongs setzt die junge Songschreiberin sozialkritische Ausrufezeichen. Wir haben mit Stella über ihr Debütalbum gesprochen.
Vor zwei Jahren brachte Stella Donnelly ihre erste EP »Thrush Metal« heraus, die eigentlich nur ein Demotape sein sollte, aber das Indie-Label Secretly Canadian veröffentlichte es. Ein Song auf »Thrush Metal« erlangte besondere Aufmerksamkeit: »Boys Will Be Boys« erzählt die Geschichte einer Vergewaltigung, die eine Freundin von Stella erleben musste. Im Nachhinein wurde das Opfer dann auch noch selbst dafür verantwortlich gemacht. »Why was she all alone? Wearing her shirt that low. And they said boys will be boys. Deaf to the word no.« singt Stella da. »Als meiner Freundin das passiert war, fühlte ich mich hilflos und war wütend. Mit dem Song versuchte ich zu artikulieren, was geschehen war.« erklärt Stella. »Es ist einer sehr engen Freundin von mir passiert, aber es passiert immer wieder, dass das Opfer beschuldigt wird. Als ich den Song veröffentlicht hatte, wurde mir klar, dass es zwar ein sehr persönlicher Song für sie und von mir ist, aber es nicht mehr nur um uns geht. Es ist nicht mehr mein Song, sondern er ist zu einem Song für alle geworden, die sich darin wiederfinden.«
Als der Song 2017 veröffentlicht wurde, diente er als Anklage sexueller Gewalt und Opferbeschuldigung. Als jedoch nur drei Tage später der Harvey-Weinstein-Skandal ausbrach und sich die #MeToo-Bewegung wie ein Lauffeuer in den sozialen Medien ausbreitete, gewann »Boys Will Be Boys« immer mehr an Bedeutung und fand im Zuge der #MeToo-Debatte seinen Weg ins Rampenlicht, obwohl Stella diesen Song bereits zwei Jahre vorher geschrieben hatte.
»Boys Will Be Boys« ist nun in derselben Version auch auf Stellas Debütalbum »Beware Of The Dogs« wieder drauf. Warum erklärt Stella so: »Leider habe ich das Gefühl, dass dieser Song immer noch gehört werden muss. Viele Leute haben ihn zwar inzwischen gehört, aber viele auch nicht. Für mich ist ›Boys Will Be Boys‹ der Song, der mir immer noch weh tut, wenn ich ihn spiele. Und leider ist der Song immer noch sehr wichtig, gesungen zu werden. Ich werde ihn auch wieder mit auf mein nächstes Album nehmen, wenn es sein muss, solange bis er nicht mehr gebraucht wird.«
Die #MeToo-Debatte ist etwas, was Stella auch in dem Eröffnungsstück »Old Man« aufgreift. Der Song zeichnet ein Porträt der Art von Mann, mit der die #MeToo-Bewegung begann und holt zum Schlag aus gegen mächtige Männer, die ihre Macht missbrauchen und allzu oft davonkommen. »Oh are you scared of me old man or are you scared of what I’ll do? You grabbed me with an open hand. The world is grabbing back at you« singt sie mit scharfer Zunge. »Ich wollte das Gefühl festhalten, dass sich die Welt verändert hat. Es ist keine Welt mehr, in der man mit allem einfach davon kommt. Wenn ein Mann dich schlecht behandelt, dann muss er sich jetzt dafür verantworten.« erzählt mir Stella über den Song »Old Man«, den sie zu der Zeit schrieb, in der Woody Allen nach den Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein die #MeToo-Debatte als »Hexenjagd« bezeichnete. »So schrecklich es auch war, Frauen können es jetzt aussprechen. Es ist endlich passiert.« sagt Stella.
Im Mai 2018 flog Stella nach Irland, um in Dublin ein Konzert zu geben. Es ist ein Tag vor der Abstimmung über das Abtreibungsgesetz. Überall hängen Plakate, auf denen groß das Wort »No« steht. An diesem Tag schrieb sie den Song »Watching Telly«, der die Ereignisse mit ihrer persönlichen Geschichte verbindet, denn sie selbst hatte mit Anfang 20 auch eine Abtreibung. »Ich denke, es ist wichtig, dass Abtreibung verhandelbar ist und Frauen sich dafür entscheiden können. Es ist keine leichte Entscheidung, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Es ist für viele Frauen traumatisch. Es macht mich wütend, wenn behauptet wird, dass diejenigen, die sich für eine Legalisierung von Abtreibungen aussprechen, Abtreibungen toll finden. Abtreibungen sind nicht toll. Es geht darum, eine Wahl zu haben. Dass niemand anders über unseren Körper entscheidet als wir selbst.« sagt sie. »Es ist unglaublich, wie Politik immer noch Religion benutzt, um über unseren Körper bestimmen zu wollen. Und all diese Menschen gehen überhaupt nicht in die Kirche, aber verwenden Religion als Argument.«
Auch wenn einige Songs auf Stellas Debütalbum politische und sozialkritische Themen behandeln, versucht die 26-Jährige nicht, die Stimme einer Bewegung zu sein, sagt sie. Daher ist »Beware Of The Dogs« auch in erster Linie ein sehr persönliches, intimes Werk, das Einblick in ihre eigenen Gedanken und Erfahrungen gibt. »Es war mir wichtig, Dinge anzusprechen, die mich bewegen.« erklärt Stella. »Manche Dinge habe ich selbst erlebt und manchmal schreibe ich über Erfahrungen, die die Menschen in meinem Umfeld oder in meiner Generation gemacht haben, die in mir etwas auslösen.« Doch in Stellas Songs geht es nicht nur um feministische Themen. »Es gibt auf dem Album auch Songs über Liebeskummer oder Heimweh. Oder Songs, die davon handeln, dass dein Boss dir noch Geld schuldet.« sagt sie.
Stella nimmt in ihren Songs kein Blatt vor den Mund, was zu bissigen Texten führt, die oft mit zynischem Humor vermischt werden. Aber immer mit einer klaren, freundlichen Stimme gesungen. Stella erklärt: »Du kannst niemanden erreichen, wenn du ihn anschreist. Du wärst zu überfordert, um zu verstehen, was ich gerade sage. Es hat mehr Wirkung, wenn ich es ruhig angehe und lieber einen Scherz mache. Damit bringe ich dich zum Lachen aber auch zum Nachdenken.«
Als Songschreiberin versucht Stella nicht, die Probleme der Welt zu lösen, sondern die Probleme, denen sie und viele junge Menschen sich heute gegenübersehen zu dokumentieren. Und das kommt an: »Ich bekomme viel positives Feedback und das lohnt sich für mich, um weiterzumachen« sagt sie.